Projekttitel: Syntax für Normenanforderungen
deutscher Projekttitel | Syntax für Normenanforderungen |
englischer Projekttitel | Syntax for Norming Requirements |
Ideengeber*in:
Name | Dr. Henning Femmer |
Organisation | Qualicen GmbH |
Adresse | Lichtenbergstr. 8 |
E-Mail (optional) | 85748 München |
Telefon (optional) | 0176/38927921 |
Website (falls vorhanden) | https://www.qualicen.de |
Potenzielle Projektpartner*innen
Eventuell steht Prof. Dr. Andreas Vogelsang vom DCAITI, TU Berlin für Reviews und konzeptionelle Unterstützung zur Verfügung.
Ausgangslage
Normen sind komplexe Dokumente, mit unterschiedlichsten Inhalten, von Zeichnungen über Kommentare bis hin zu Anforderungen als Kern jeder Norm: Die Anforderungen definieren möglichst präzise und verständlich welche Systeme oder Objekte Normenkonform sind.
Um im Rahmen der Digitalisierung und Industrie 4.0 mit der immer größeren Anzahl an Prüfobjekten und mit iterativen, schnelleren Entwicklungszyklen mithalten zu können, ist auch die Normierung in einem großen Wandel. Normen bekommen immer mehr Syntax (in Form von immer mehr Struktur) um die Lesbarkeit zu erhöhen, die Mehrdeutigkeiten und die Komplexität zu reduzieren und Normen zukünftig auch maschineninterpretierbar zu machen.
Ein erster Schritt in diese Richtung ist der NISO-STS Standard (ANSI/NISO Z39.102-2017 Standards Tag Suite, https://www.niso-sts.org/, XML-Schema für Normdokumente). Der Standard zeigt die Entwicklung auf, dass Normdokumente immer mehr Struktur bekommen. Jedoch beschränkt sich die Struktur eher auf Formataspekte und Dokument-Metadaten. Nur wenige Auszeichnungen, wie z.B. die Unterscheidung zwischen normativen und nicht normativen Verweisen oder explizite Definitionen greifen in die inhaltliche (bzw. semantische) Ebene. Die Kerninhalte sind leider noch immer unstrukturierter Text - allen voran Anforderungen.
Die daraus resultierendes Probleme sind:
- Inkonsistenzen: Jeder schreibt "wie ihm/ihr der Schnabel gewachsen ist".
- Schlechte Lesbarkeit: Verständnis der Normanforderungen hängt stark von der Interpretation (und dem Vorwissen) der Leser ab. Z.T. ist grammatikalische Mehrdeutigkeit nicht ohne Hintergrundwissen aufzulösen.
- Bewusst schwammige Formulierungen: Weil formalere Beschränkungen nicht existieren, versuchen Stakeholder Normanforderungen auch bewusst schwammig zu formulieren um sich nicht zu sehr festzulegen. Dies ist politisch vielleicht erwünscht, für den Normanwender aber durchaus problematisch, weil eine Interpretation entsprechend viel Spielraum lässt.
- Aufwand in der Erstellung: Die reine Formulierung der Normanforderungen ist auch unabhängig vom Inhalt eine hochgradig komplexe Aufgabe.
- Blick in die Zukunft: Damit wir nicht nur die Dokumente, sondern in Zukunft auch die Anforderungen stärker machinenlesbare und -prüfbare definieren, muss bereits jetzt damit begonnen wird, die grammatikalische Komplexität so weit wie möglich aus der Normierung zu eliminieren. Ohne strukturierte Sprache in der Normenanforderungen sind die nächste Schritte im Blick auf die maschinelle Verarbeitung der Normenanforderungen in weiter Ferne.
Ansatz
Unser Ansatz basiert dabei auf einem publizierten, wissenschaftlich anerkannten Vorgehen, dass wir gemeinsam mit der TU München entwickelt haben (1,2). Gegebenenfalls ließe sich auch Prof. Vogelsang als Projektpartner einbinden. Das Vorgehen basiert dabei auf vier einfachen Schritten:
- Abstrakte Syntax (Inhaltsmodell) erstellen: Hierzu müssen zunächst genau die Inhalte von Normenanforderungen geprüft werden. Dazu werden durch Abstraktion von unterschiedlichen konkreten Normen ein UML Klassendiagramm als Inhaltsmodell inkl. Zusammenhänge erstellt. Diese Abstrakte Syntax ist sprachunabhängig und kann sowohl für deutsch-sprachige als auch englisch-sprachige Normen verwendet werden.
- Konkrete Syntax (Sprachliche Formulierungen) definieren: Im Anschluss muss aus der abstrakten Syntax durch Definition von fixierten Sprachmustern und -Formulierungen eine konkrete Syntax erstellt werden. Diese konkrete Syntax soll sowohl für deutsche als auch englische Texte konzipiert werden und orientiert sich an den ersten Syntaxfragmenten aus dem Beispiel der ISO/IEC/IEEE 29148:2018 in Fig. 1. Für ein Beispiel einer konkreten Syntax aus einem anderen Kontext siehe Bild unten.
- Evaluierung der Syntax: Der VDE stellt ein Beispielset an Anforderungen zur Verfügung. Anhand dieses Beispielsets sollen zwei Aspekte evaluiert werden: 1. Lassen sich alle Aussagen auch in der neuen Syntax ausdrücken? 2. Wie lesbar sind die Ergebnisse? Diese Evaluierung soll mit Hilfe von Experten im Umkreis des VDE durchgeführt werden.
- Dokumentation einer Vornorm (z.B. DIN Spec, VDE Spec) als erstes Konzept in Form von Guidelines zu Eigenschaften einer Syntax für Normenanforderungen.
(1) Eckhardt, J., Vogelsang, A., Femmer, H., & Mager, P. (2016, September). Challenging incompleteness of performance requirements by sentence patterns. In 2016 IEEE 24th International Requirements Engineering Conference (RE) (pp. 46-55). IEEE.
(2) Eckhardt, J., Vogelsang, A., & Femmer, H. (2016, September). An approach for creating sentence patterns for quality requirements. In 2016 IEEE 24th International Requirements Engineering Conference Workshops (REW) (pp. 308-315). IEEE.
Nutzen
Worin liegt das Optimierungspotential?
Die Anwendung von Syntax ist ein lange erforschte Technik, die im Requirements Engineering breite Anwendung findet (siehe 1,2). Beispiele für weitere, verbreitete Syntaxen sind etwa EARS (3) und die MASTER-Schablone (4). Die Gründe für die weite Verbreitung sind einfach:
- Erhöhte Lesbarkeit und mehr Eindeutigkeit: Konsistente Anforderungen in Wort und Struktur vereinfachen dem Gehirn die Verarbeitung der aufzunehmenden Informationen. Dies sorgt nicht nur für eine erhöhte Lesegeschwindigkeit, sondern auch für mehr Eindeutigkeit in der Definition. Das Ergebnis des Prozesses ist dabei eine Teilmenge der deutschen oder englischen Sprache, die entstandenen Anforderungen (das Ergebnis) sind also ganz normal lesbare Anforderungen. Ohne Hintergrundwissen merkt man nur an der stärkeren Struktur, dass die Anforderungen aus einer Syntax entstehen.
- Vereinfachung des Schreibprozesses und erhöhte Vollständigkeit: Eine Syntax leitet eine/n Autor/in entlang der zu beantwortenden Fragestellungen innerhalb der Definition. Dies vereinfacht nicht nur das Schreiben, sondern sorgt auch dafür, dass alle inhaltliche Teilaspekte nicht vergessen werden (z.B. Nebenbedingungen).
- Automatische Auswertung und Ausblick: Zwischenschritt zum Digitaler Zwilling und automatische Prüfung im digitalen Zwilling: Die Syntax ermöglicht, dass Strukturen maschinenlesbar werden und weiterverarbeitet werden können. Mögliches Beispiel ist der Export von Anforderungen in Engineering Systeme. Dies muss aktuell manuell vorgenommen werden, was zeitintensiv und fehleranfällig ist. Eine saubere Erkennung von Anforderungen und ein möglicher Export würden viel Geld sparen. Es gibt aktuell Bestrebungen bei DIN (etwa für SNIF) Anforderungen nachgelagert und automatisiert zu ermitteln, aber die Erkennung erreicht keine 100% Genauigkeit. Deswegen müssen Experten zur Korrektur wieder herangezogen werden. Würde bei der Definition der Anforderungen bereits eine formalere Sprache verwendet werden, so könnte die Erkennung und auch die Interpretation vereinfacht werden.
- Verwendung über die Normierung hinaus: Falls sich die Syntax bewährt, möchten wir sie über die Normung hinaus verwenden. Eventuell ist auch denkbar, dass die Norm Einzug in die ISO/IEC/IEEE 29148 und damit in das Requirements Engineering im Allgemeinen findet. Dazu ist es jedoch aus unserer Sicht sinnvoll im ersten Schritt den Anwendungskreis erst einzuschränken und dann im zweiten Schritt zu erweitern.
(3) Mavin, Alistair, et al. "Easy approach to requirements syntax (EARS)." 2009 17th IEEE International Requirements Engineering Conference. IEEE, 2009.
(4) Die Sophisten. "Master: Schablonen für alle Fälle." Nürnberg: SOPHIST GmbH. (2013).
Wer profitiert von der Innovation und dem Standard?
Die Requirements Syntax hilft Menschen und Maschinen:
- Autoren von Normen: Einfacheres und eindeutigeres Schreiben.
- Leser von Normen: Konsistentere Normenbeschreibungen, eindeutigere Semantik.
- Anwender: Fixierte, klare Normenbeschreibung, keine Politik.
- Ausblick: Produkthersteller können automatisiert Produkte gegen Normen prüfen.
Wie werden die Ergebnisse nach Projektabschluss verwertet?
Im Anschluss an das Projekt können die Ergebnisse über eine erweiterte Machbarkeitsstudie bei DIN/DKE validiert und mit aktuellen (internationalen) Projekten zur Digitalisierung der Normung abgeglichen und ggf. zusammengeführt werden. Aktuell werden Normen auf Maschineninterpretierbarkeit hin untersucht. Erste Erkenntnisse zeigen, dass Normen bei der Beschreibung und Definition zu viel Interpretationsspielraum zulassen bzw. die notwendige Genauigkeit fehlt, um eine maschinelle Verarbeitung oder Interpretation realisieren zu können.
Außerdem streben wir an die Ergebnisse der wissenschaftlichen Community zur Verfügung zu stellen, um für den Nutzen der Industrie und die (wissenschaftliche) Weiterentwicklung der Lösung zu werben.
Eine Syntax für Anforderungen ist darüber hinaus nicht nur auf den Anwendungsbereich normativer Dokumente beschränkt. Die hier erzielten Ergebnisse können relativ leicht bezüglich Anforderungen aus technischen Dokumenten (Lastenhefte, Produktanforderungen usw.) generalisiert bzw. dahingehend erweitert werden.
Skizzieren Sie bitte die europäische/internationale Bedeutung
Die Arbeiten greifen die ersten Gedanken und Beispiele zu Normen für Anforderungen aus der ISO/IEC/IEEE 29148:2018 auf und erzeugt daraus eine systematische Syntax.
Der sprachneutrale Ansatz, sowie die Konkretisierung der Syntax sowohl für deutsche als auch für englische Texte, ermöglicht ein Einbringen der Ergebnisse in die internationale Normung. Mit der Verständigung der Normungscommunity (IEC, ISO, CCMC und andere) auf ein einheitliches XML-Format zur Beschreibung normativer Dokumente, könnte eine einheitliche (teilweise sprachunabhängige) Syntax zur Definition von Anforderungen ein logischer nächster Schritt in der Harmonisierung der internationalen Normungscommunity darstellen.
Bestehen Einreichungsmöglichkeiten bei Europäischen und internationalen Normungsorganisationen (CEN/CENELEC/ISO/IEC)
Im Zuge der Digitalisierung der Normung ist eine Weiterentwicklung und Anpassung der DIN 820 und der Direktiven von ISO/IEC notwendig. Diese Dokumente regeln die Art und Weise wie Normen auszusehen haben bzw. wie diese zu erstellen sind.
Eine Syntax für normative Anforderungen kann dazu beitragen, die aktuell festgestellten Defizite im Normerstellungsprozess bzw. bezüglich der Qualität des Normeninhalts zu mindern und somit einen wesentlichen Beitrag zur international angestrebten verbesserten maschinellen Interpretierbarkeit von Normen beizutragen. Diese Ergebnisse könnten also direkt in die Anpassung der regulatorischen Vorgaben der o.g. Dokumente führen und somit in erster Linie dem DIN-Normenausschuss Grundlagen der Normungsarbeit, sowie den Directives Maintenance Teams von ISO/IEC/CCMC zur Verfügung gestellt werden.
Außerdem können neue Erkenntnisse, die sich über das Anwendungsgebiet der Normung hinausbewegen, dem ISO/IEC JTC 1/SC 7 zur Weiterentwicklung der ISO/IEC/IEEE 29148:2018 zur Verfügung gestellt werden, die das Problem einer fehlenden Syntax bereits adressiert aber noch nicht gelöst hat.
Skizzieren Sie bitte die Markt- und gesellschaftliche Relevanz
Von dem Ansatz können sowohl der Markt, als auch die Gesellschaft profitieren: Der Markt profitiert durch eine eindeutigere Normen, dadurch schnellere Prüfung auf Erfüllung einer Norm, dadurch Standortvorteil, weil Produkte eine verbesserte Time-to-Market aufweisen können. Die Gesellschaft profitiert durch eine verbesserte Einhaltung der Normen mit der Konsequenz, das breitere Teile der Bevölkerung normierte Produkten verwenden und damit immer stärker die Vorteile eine breiteren Normierung nutzen können.
Kompetenzen und Ressourcen
Wir bei Qualicen sind Experten für Requirements Engineering. Etabliert im Deutschen Markt gehören große deutsche Automobilhersteller und Zulieferer zu unseren Kunden. Dabei bieten wir Schulungen zum Requirements Engineering, Coaching, wie etwa Definitionen von Syntax und wissenschaftliche Analysen an. Weiterhin sind wir Experten für Computerlinguistik. Wir werden daher die Syntax bereits jetzt so gestalten, dass sie bereits jetzt den Grundstein für in Zukunft einfacher und eindeutiger auswertbare Normen legt.
Mit der Definition einer spezifischen Requirements Syntax haben wir Erfahrung in Forschung (s.o.) und Praxis. So haben wir für einen globalen OEM eine Syntax entworfen, die gerade in die Praxis umgesetzt wird. Diese Syntax wird aktuell global in Deutschland, USA, Mexiko, Indien geschult und eingesetzt. Bei den Schulungen berichten unsere Teilnehmer wie viel einfacher das Schreiben mittels einer Syntax im Vergleich zu "freiem" Schreiben ist. Dabei leiten Templates (siehe Foto) die Autoren beim einfachen Erlernen der Syntax. Ein Erfahrungsbericht hierzu ist nachzulesen auf unserem Blog unter https://www.qualicen.de/blog/?p=849
Standardisierungsscope
Aktuell existieren nur ganz punktuell Ideen zu einer Syntax erstellt. Die DIN 820 gibt Schlüsselworte zur Verbindlichkeit, die ISO/IEC/IEEE 29148 gibt einen Auszug einer Syntax als Beispiel an.
Wir werden im Rahmen dieses Projekts eine Vornorm erstellen, die dann im Anschluss in den Normungsprozess gegeben werden soll. Langfristig könnte die Norm dann für Anforderungen im Allgemeinen (nicht nur Normen) erweitert werden und dann in die ISO/IEC/IEEE 29148 einfließen.